Kettenarbeitsverträge setzen Befristungswahn die Krone auf

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Hiller-Ohm, ich finde es klasse, dass wir heute wieder über unseren Antrag zur Abschaffung von Befristungen ohne Sachgrund und von Kettenbefristungen reden.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das habe ich mir gedacht!)

Ich weiß gar nicht, welche Probleme Sie damit haben. Ich finde das toll!

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ich habe keine Probleme damit!)

Im Grunde ist es so: Arbeitgeber missbrauchen mittlerweile genau diese Befristungen als arbeitsmarktpolitisches Instrument gnadenlos für Lohndumping und Behinderung von Mitbestimmung und Betriebsratsarbeit; das wissen Sie eigentlich ganz genau. Sachgrundlose Befristungen sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Die Auswahl für Arbeitgeber ist nahezu unendlich: Leiharbeit,
Werkverträge, Ausgliederungen usw. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keine Wahl: Entweder sie akzeptieren die Befristung im Arbeitsvertrag, oder sie kriegen das Arbeitsverhältnis nicht. Andere Chancen haben sie an dieser Stelle doch nicht.

Zum Thema Befristungen schweigt die Bundesregierung leider seit Jahren. Weil von der Regierungsbank rein gar nichts in Richtung einer Verbesserung für die Beschäftigten kommt,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Unglaublich, Regierungsbank!)

werden wir als Opposition nicht aufhören, diesen Antrag immer wieder zu stellen – und wenn er Ihnen aus den Ohren herauskommt!

(Beifall bei der LINKEN)

Im letzten Jahr wurde jeder vierte Beschäftigte unter 25 Jahren mit einem befristeten Arbeitsvertrag abgespeist. Da lockt die Bundesregierung junge Beschäftigte erst verbal mit der Möhre „Fachkräftemangel“, und dann lässt sie sie über die Klinge der Befristung springen. Das geht doch alles gar nicht, was da gemacht wird!

(Beifall bei der LINKEN)

Stellen Sie sich einmal vor, es geht um ihre Kinder. Was wird aus deren Lebensplanung? Was wird aus einer eigenen Wohnung? Was wird möglicherweise aus Enkeln, die auch in die Welt gesetzt werden müssen?

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Der jungen Generation wird die Möglichkeit der Beteiligung an betrieblicher Mitbestimmung und an der Gestaltung menschenwürdiger Arbeit regelrecht vorenthalten, und das alles mit Zustimmung dieser Regierung. Wenn ich das mitbekomme, kommt mir persönlich immer wieder die Galle hoch.

Kettenbefristungen setzen diesem Befristungswahn noch die Krone auf. Dutzende Arbeitsverträge, immer für den gleichen Arbeitsplatz, immer befristet, und das über einen Zeitraum von Jahren oder teilweise sogar von Jahrzehnten: Das ist nicht unsere Vorstellung von guter Arbeit und gutem Leben. Damit muss endlich Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich persönlich werde mich so lange wiederholden, Frau Hiller-Ohm, bis es allen hier aus den Ohren herauskommt und bis es endlich gerade auch für die junge Generation die Möglichkeit gibt, aus dieser schrecklichen Situation herauszukommen.

Für die Qualität von Arbeit ist entscheidend, ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht. Befristet Beschäftigte haben Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit. Sie schleppen sich krank zur Arbeit und halten bei Missständen im eigenen Betrieb die Klappe. Sie wehren sich nicht gegen Ungerechtigkeiten und beteiligen sich nicht an Warnstreiks. Befristet Beschäftigte werden ihre Arbeitnehmerrechte niemals ganz nutzen.

Ich finde, es ist ein Armutszeugnis für ein Land wie die Bundesrepublik, dass sich an dieser Stelle ganz einfach nichts tut, und das seit 1985, weil es davor keine Befristung ohne Sachgrund gab, Herr Oellers. Das war einfach so, und die Wirtschaft hat trotzdem funktioniert.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt für mich einmal mehr, auf wessen Kosten in unserem Land Reichtum entsteht.

Mit dieser Meinung stehen wir nicht alleine, sondern ganz viele Beschäftigte sehen das ganz genauso, und auch viele Gewerkschaften haben damit ein Riesenproblem, wenn sie sehen, was hier passiert. Sie können auch ein Lied davon singen, was befristete Arbeitsplätze für die Mitbestimmung, die Gewerkschaftsfreiheit und die demokratische Beteiligung bedeuten.

Bei Amazon in Brieselang in Brandenburg beispielsweise arbeiten über tausend Beschäftigte. Der Befristungsgrad beträgt 80 Prozent. 80 Prozent der Beschäftigten haben einen befristeten Arbeitsvertrag.

(Klaus Ernst (DIE LINKE): Für die Statistiker!)

Das ist nur ein Betrieb. Hier findet doch Missbrauch statt. Das ist überhaupt nicht in Ordnung. Es geht hier doch nicht um „Auftragsspitzen, von denen da geredet wird.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Klaus Ernst (DIE LINKE): Kann man nichts machen! Das ist halt so! Gottgegeben!)

Im Grunde genommen ist es Wahnsinn, dass so viele Menschen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis erhalten.

Die sachgrundlose Befristung wird bei Amazon als systematisches Mittel gegen Gewerkschaften, gegen Betriebsräte und gegen die Belegschaft genutzt.

Vizepräsident Peter Hintze:

Die Zeit.

Jutta Krellmann (DIE LINKE):

Danke für den Hinweis.

Vizepräsident Peter Hintze:

Das war eigentlich kein Hinweis. ‑ Frau Kollegin, im Europäischen Parlament wird das Mikrofon nach Ende der Redezeit automatisch abgestellt. Damit hätten die letzten 35 Sekunden von Ihnen gar nicht mehr gehört werden können. Es wäre also nett, wenn Sie jetzt zum Schluss kommen würden.

Jutta Krellmann (DIE
LINKE):

Danke für den Hinweis; ich komme zum Schluss. ‑ Die SPD hat die Chance, unserem Antrag jetzt zuzustimmen. Vielleicht können wir über diesen Weg eine Mehrheit über die Koalition hinweg herstellen. In Richtung CDU mag ich gar nicht schauen.

(Katja Mast (SPD): Frau Krellmann, Sie wissen nicht, was im Koalitionsvertrag steht! ‑ Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wäre das Mikrofon mal ausgestellt worden!)

Sie haben jetzt die Chance. Nutzen Sie sie, stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir an dieser Stelle endlich einmal vorankommen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)